Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung vom 11.10.2022 (AZ BVerwG 1 C 9.21) festgestellt, dass Geflüchteten als Voraussetzung für eine Passbeschaffung nicht zugemutet werden kann, eine „Reueerklärung“ abzugeben. Das Verfahren ist über den Rechtshilfefonds von PRO ASYL finanziert und vom Flüchtlingsrat Niedersachsen begleitet worden. Erstritten hat die Entscheidung Rechtsanwältin Laura Hoffmann (hammer-rechtsanwälte.de). Betroffen von einer solchen Praxis sind v.a. eritreische Geflüchtete. In seiner Presseerklärung hält das Bundesverwaltungsgericht fest:
„Einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer darf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will“.
Die fragwürdige Kollaboration der Bundesregierung mit der eritreischen Diktatur bei der Passbeschaffung hat der Flüchtlingsrat bereits 2018 scharf kritisiert (siehe Presseerklärung vom 30. Januar 2018). Am 20. Januar 2020 entschied das Verwaltungsgericht Hannover, die Passbeschaffung sei für subsidiär Schutzberechtigte ebenso wie für GFK-Flüchtlinge unzumutbar. Diese Entscheidung wurde jedoch vom niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Entscheidung vom 18.03.2021 wieder aufgehoben. „Eritreischen Staatsangehörigen ist es ohne Hinzutreten weiterer Umstände grundsätzlich zumutbar, sich um einen Nationalpass zu bemühen und die von der eritreischen Auslandsvertretung in diesem Zusammenhang geforderte Aufbausteuer in Höhe von 2 % zu zahlen sowie die sog. Reueerklärung, die von allen illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im dienstfähigen Alter für die Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen gefordert wird, zu unterzeichnen“, so das niedersächsische Oberverwaltungsgericht damals. Dagegen hält das Bundesverwaltungsgericht in seiner Presseerklärung (die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor) fest:
„Der Kläger kann die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen kann und auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. […] Denn jedenfalls ist dem Kläger nicht zuzumuten, die beschriebene Reueerklärung abzugeben. Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen seinen Grundrechten und den staatlichen Interessen, die auf die Personalhoheit des Herkunftsstaates Rücksicht zu nehmen haben, geht hier zu seinen Gunsten aus. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat darf ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich – wie vom Berufungsgericht festgestellt – die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöht und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringert.“
Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.10.2022
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